Fürstabt Christian von Castelberg
Christian wurde 1532/33 in Disentis/Mustér als Sohn von Junker Hans Christian von Castelberg und der Tirolerin Luzia Stöckl geboren.1 Das Paar war nach den reformatorischen Ilanzer Artikeln nach Disentis gezogen und hatte sich dort erstaunlich schnell etabliert.2 Die Jugendjahre und der Studiengang von Christian sind unbekannt, wenngleich die Klosterüberlieferung auf seine hervorragende Bildung hinweist. Nach Theologiestudium und Primiz diente er mehrere Jahre als Pfarrer in Sedrun.3 1566 wählte ihn die Disentiser Obrigkeit – unkanonisch – zum Abt. Nachdem er nachträglich die benediktinische Profess abgelegt hatte, wurde er im August 1570 in Einsiedeln geweiht.4
Er betrat ein fast verlassenes Kloster, das immer noch unter den Reformationswehen litt. Er nahm Novizen und auswärtige Mönche auf, installierte eine strenge Klosterdisziplin und förderte Chorgebete.5 Zudem bemühte er sich um die Wiederherstellung der Konventgebäude, baute in der Klosterkirche eine erste Orgel ein und förderte Musik und Gesang für das benediktinische Gemeinschaftsleben.6 Laut den Aufzeichnungen seines Nachfolgers soll er verschiedene Altarzierden gekauft und auch das Chorgestühl erneuert haben.7 Zum Gedenken für die grundlegende Erneuerung des Stifts wurde ihm ein Ehrenmal gewidmet.
Ausserdem bemühte sich Abt Christian um die Restauration der Kapellen Sogn Gagl und Sontga Maria an der Lukmanierpassroute.8 Der Kapelle Sogn Benedetg ob Sumvitg stiftete er eine Prozessionsfahne. In Danis-Tavanasa wurde unter seiner Regie eine Kapelle erbaut, die später durch Kapuziner umgebaut wurde.9 Dadurch markierte das Stift wieder Präsenz in der gesamten Region. Geld aus der Auflösung des Frauenklosters Cazis, dessen Nachlassverwalter sein Vater war,10 diente zur Einrichtung einer Schule. Jedoch erst sein Nachfolger führte kurzzeitig ein Priesterseminar in Disentis/Mustér.11
Der Mailänder Erzbischof und Kardinal Carlo Borromäus schätzte den initiativen Abt in der oberen Surselva sehr. Die Gerichtsgemeinde Disentis hatte allerdings 1561 bloss einen weltlichen Vertreter an das Konzil in Trient/Trento entsandt.12 Abt Christian pilgerte dann 1575 nach Rom. Unmittelbar nach seiner Rückkehr ereignete sich am 11. Oktober 1576 ein Dorfbrand. Davon wurde das Kloster verschont, weil Christian versprochen hatte, den entsprechenden St. Luzia-Tag (11.10.) zum Feiertag zu erheben, wie die Cuorta Memoria legendenhaft berichtet.13 Im Juli 1580 hielt sich der neu in Luzern residierte Apostolische Nuntius, Giovanni Francesco Bonhomini, in Disentis/Mustér auf.14 Im Folgejahr reiste Kardinal Carlo Borromäus an, wobei er auch beim Abtbruder Sebastian dinierte. Über den prägenden Besuch liegt ein Augenzeugenbericht vor, auch wurde das Ereignis bildlich umgesetzt.15 Abt Christian sonnte sich dabei in der Aura des später heiliggesprochenen Borromäus. Durch seinen Kampf «cunter la heresia», «per la sointga catholica religiun» wurde Christian von Castelberg damit zum eigentlichen «Schutzherr der Gegenreformation in Graubünden».16
Als traditioneller Hauptherr des Oberen Bundes siegelte Abt Christian am 3. Mai 1569 ein Gesetz gegen das «Praktizieren», d.h. gegen korrupte Ämterkäufe.17 Durch ein kaiserliches Diplom vom 20. September 1572 liess er sich die Klosterprivilegien bestätigen. Daraus leitete sich auch seine Münztätigkeit ab. So sind von Fürstabt Christian drei Sorten bekannt: ein einseitig geprägter Pfennig, sog. Etschkreuzer und ein Halbdicker.18 Sie dienten als Insignien der wiedererwachenden Klostermacht.
Von der Abhängigkeit zur weltlichen Obrigkeit konnte er sich trotz fürstbischöflichen Rechtstiteln nicht absetzen. Politisch stand er wie sein Bruder Sebastian auf der franzosenfreundlichen Seite, empfing auch Pensionen aus Paris, dank denen Anwerbungen von Söldnern gefördert wurden.19 Im Dorf Disentis/Mustér soll er die Casa Cumin als Rats- und Wirtshaus erbaut haben, wobei er dies mittels Alpverkäufen finanzierte.20 1572 stritt er mit der Nachbarschaft Disentis/Mustér wegen gemeinsamer Hirtschaft und 1579 mit den Bauern von Tujetsch wegen Alpzinsen.21 In der Lukmanierregion musste zudem der Verkauf von Klosteralpen geregelt werden.22 Die klösterliche Eigenwirtschaft und die Bodenzinsen blieben indessen für die Mönche relevant.
Nach einem sehr aktiven Leben als Klostervorsteher starb Christian am 22. Februar 1581, wobei die Familie ihm ein Grabdenkmal stiftete. Die rätoromanischen Klosterchroniken rühmen «siu generus spert» und seinen Kampf für den Katholizismus. So soll er am selben Tag an fünf verschiedenen Orten gepredigt haben und regelmässig Almosen an Arme verteilt haben.23 Sein erster weltlicher Biograph lobte neben der Volksverbundenheit, seine Rhetorik und Wohltätigkeit.24 Zweifellos gebührt ihm eine große Bedeutung am Fortbestand des Benediktinerstifts in der Surselva.
Dr. phil. Adrian Collenberg (*1966)
Studium in Allgemeiner Geschichte, Rätoromanistik und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Zürich Mitarbeiter der Schweizerischen Rechtsquellenstiftung
Verschiedene Editionen und Publikationen zu Rechts- und Sozialgeschichte in Graubünden
Fussnoten
1 Müller Iso, Die grossen Disentser Äbte der Barockzeit, in: BB, Band I (1970), S. 260f.; vgl. ausserdem HS III/1, S. 500; Schumacher 1914, S. 30–32; HBLS 2, S. 509; HLS 3, S. 229; LIR 1, S. 158.
2 Cahannes 1899, S. 74ff.; Poeschel 1959, S. 119ff.; Müller 1971, S. 75f.
3 StiftsA, Synospis, S. 135; Brunold/Saulle Hippenmeyer 1999, S. 178 und 180.
4 Schuhmacher 1914, S. 31.
5 Vgl. Poeschel 1959, S. 121f.
6 Cuorta memoria, S. 230.
7 Decurtins 1887, S. 31; Müller 1971, S. 78.
8 KDGR V, S. 145 und 148.
9 Wenzin/Decurtins 1882, S. 23; KDGR IV, S. 372; Poeschel 1959, S. 125.
10 Grossmutter war Anna von Reitnau, die aus der schwäbischen Familie stammte, welche die Äbtissinnen-Dynastie in Cazis begründete. Vgl. HS IV/2, S. 114f.; Vogler 1989, S. 54f.
11 Cahannes 1899, S. 88; Poeschel 1959, S. 126; Fischer 2000, S. 211ff.
12 Pieth/Hager 1913, S. 35; Müller 1971, S. 75.
13 Cuorta memoria, S. 229.
14 Poeschel 1959, S. 130; HS I/1, S. 42f.
15 Cahannes 1924, S. 136–165; Affentranger 2016, S. 162–177.
16 Cuorta memoria, S. 227; Poeschel 1959, S. 127; zu den Reformen vgl. auch Fischer 2000, S. 43ff.; Pfister 2012, S. 191.
17 StAGR A I/1 Nr. 153.
18 Joos 1956, S. 118; Poeschel 1959, S. 135f.
19 Pfister 1926, S. 180f.
20 Brunold/Collenberg 2010, S. 75 und 219; Poeschel 1959, S. 124
21 SSRQ GR B III/1, Nr. 796g, Bem. und Nr. 722.
22 Deplazes 1986, S. 168–171: SSRQ GR B III/1, Nr. 799.
23 23 Wenzin 1748, S. 5; Cuorta memoria, S. 229 und 231; Pieth/Hager 1913, S. 36.
24 24 Cahannes 1899, S. 104.