Die Offiziersbrüder Johann Anton und Joachim Liberat von Castelberg
Johann Anton von Castelberg (1751–1819)
Er wurde am 20. Januar 1751 in Disentis/Mustér geboren, wo die Familienlinie im Dorf nun diejenige in Chischliun an Bedeutung überragte.1 Als Konviktsschüler besuchte er das Collegio di Nobile Regio Imperiale in Mailand. Als 17-Jähriger trat er ins Regiment von Brigadier Jakob Ulrich Sprecher von Bernegg in savoyisch-sardischen Diensten. Nach seiner Ankunft in der Garnison Alghero (Sardinien) am 17. Juli 1768 erfolgten rasche Beförderungen: 1777 Hauptmann, dann Kapitänsleutnant, 1788 Major, wobei das Regiment inzwischen umformiert und an den Engadiner Obersten Graf Nikolaus Christ de Santz übergegangen war.2 Im Kampf gegen die aufständischen Korsen organisierte Johann Anton die Verteidigung und erbaute Festungen an der sardischen Nordküste. Dafür verlieh ihm König Viktor Amadeus III. den Orden St. Mauritius- und Lazarus, der eine Rente von 400 Livres umfasste.3 Dafür bedankte er sich mittels der dreibündischen Regierung im Februar 1789 beim König von Sardinien.4
Anschliessend übernahm er 1792 das Kommando zur Wiedergewinnung von Nizza auf dem Festland, das die französische Revolutionsarmee eingenommen hatte. Dabei soll er einmal sogar den sardischen König persönlich geschützt haben.5 Der strapaziöse Gebirgskampf im Piemont schwächte aber Johann Anton zusehends, so dass er im August 1793 eine Trinkkur in Peiden (Val Lumnezia) machte. In der Heimat sollte er neue Werbungen für ein eigenes Regiment einleiten, wurde aber kurzfristig zurückberufen. Auch eine zweite Anwerbungsphase scheiterte angesichts schlechter Rekrutierungsnachfrage.6 1795 oder 1796 erfolgte seine Heirat mit Anna Catharina Berther in Sumvitg, währenddessen Savoyen nach dem Italienfeldzug von Napoleon Bonaparte 1796 französisch wurde.7 Folglich verbrachte der angeschlagene Offizier seine Zeit in Turin, in anderen Garnisonen oder in Graubünden, bevor er 1798 den Dienst – für nunmehr Frankreich – quittierte und sich nach Disentis/Mustér zurückzog. Hier organisierte Johann Anton von Castelberg als Mitglied des regionalen Kriegsrats die Verteidigung gegen die anstürmenden Franzosen, was gegen die Truppen von Louis Henri Loison am 6./7. März 1799 glückte, dann aber an der militärischen Übermacht scheiterte.8 Trotzdem liess er sich kurzfristig für den Präfekturrat unter General Masséna einspannen und wurde deshalb vorübergehend von österreichisch Gesinnten inhaftiert.9 Beim Sturm auf Disentis vom 6. Mai 1799 weilte er in Chur. Seine Ehefrau half zusammen mit der Gattin von Johann Theodor aber vor Ort.10 Wegen Einäscherung des Heimatsitzes zog die Familie zum Schwiegervater nach Sumvitg. Dort half man auch versprengten Suworow-Soldaten, die ja zur Koalition gegen Frankreich gehörten.
Angesichts des kriegsbedingten Ausbleibens der Pensionen wandte sich Johann Anton am 1. April 1802 per Memorial an Napoleon Bonaparte. Aber erst ab 1808 trafen wieder militärische Pensionen und Invalidenrenten ein.11 In Sumvitg kümmerte er sich um die Güterverwaltung, förderte insbesondere die Imkerei, indem er mehrere Bienstöcke aufstellen liess. Er firmierte auch als Korrespondenzmitglied der «Öconomischen Gesellschaft Graubündens».12 Diese Sozietät setzte sich für die landwirtschaftliche Förderung ein.
Nach Wiederherstellung des Königreichs Savoyen-Sardinien (1815) reiften neue Pläne zur Aufstellung eines Castelbergischen Regiments. Hierzu liess Johann Anton sich einen Reisepass ausstellen und begab sich nach Turin.13 Dabei stellte er auch ein Dekorationsgesuch für seinen Bruder. Am 20. Oktober 1817 beförderte ihn König Viktor Emanuel zum Generalmajor.14 Die Aufstellung eines Regiments scheiterte aber. Immerhin flossen die Pensionen wieder, an denen er sich bis zum Tod am 15. Dezember 1819 freuen konnte. Nach einem Hausbrand in Sumvitg 1822 wandte sich die Witwe an den sardischen König zwecks Gratifikationen, die ihr und den drei Kindern bewilligt wurden.15 Die militärische Tradition setzte sein Sohn Oberst Benedikt Theodor (1802–1857) fort, der zunächst bei den Kantonsmilizen wirkte, dann ab 1827 in Neapel für das Königreich beider Sizilien diente.16
Joachim (Michael) Liberat von Castelberg (1761–1837)
Er folgte den militärischen Fussstapfen seines älteren Bruders, indem er als 15-Jähriger in savoyisch-sardische Dienste eintrat. Er startete ebenfalls in der Garnison Alghero seine Karriere. In derselben Kompanie wie sein Bruder wurde er 1786 zum Leutnant und spätestens 1791 zum Hauptmann befördert.17 Er machte den gesamten Feldzug Savoyen-Sardiniens gegen das revolutionäre Frankreich mit, bevor er nach der Kapitulation von 1798 die Seite wechselte und in dessen Diensten weiterkämpfte. Sein Regiment schützte Napoleons Italienfeldzug den Rücken und kämpfte im Winter 1798/99 in der Meerenge von Bonifacio gegen «Barbaresken», nordafrikanischen Piraten.18 Nach dem Tod von Oberst Nikolaus Santz von Christ übernahm 1799 Baron Johann Rudolf Beeli das Bündnerregiment, durch den Joachim Liberat befördert wurde.19 Nach Napoleons Sieg bei Marengo (I) wurde dieses Regiment jedoch aufgelöst. In der Folge wuchs eine wahre Flut von Soldrückforderungen an, weshalb Joachim Liberat in Turin blieb. 1803 gelangen ihm Teilauszahlungen für sich und andere Offiziere.
Nach seiner Heimkehr heiratete er am 22. April 1805 – mit Dispens – die älteste Tochter seines Bruders Johann Theodor. Im Herbst ernannte die Bündner Regierung den erfahrenen Kriegsmann zum Oberstleutnant der sogenannten Neutralitätsarmee.20 Diese Dienstpflicht wurde 1806 erneuert. In Chur urteilte er als ausserordentlicher Militärrichter wegen Beleidigungen von Bündner Offizieren.21 Ende 1806 entliess ihn der Kleine Rat (Kantonsregierung) wieder in französisch-napoleonische Dienste, wofür er zunächst in der gesamten Schweiz rekrutieren musste.22 Das zusammengestellte Regiment unter N. A. X. de Castella wurde in Avignon gedrillt. Von dort ging es für das Bataillon Castelberg Ende 1807 Richtung Portugal, nachdem vorher die Aufstände in Spanien bekämpft worden waren. Ende des folgenden Jahres wurden diese Truppen abkommandiert, wobei Joachim Liberat aus Gesundheitsgründen schon ausgeschieden war.23
Dennoch liess er sich 1811 als Oberst der Bündner Miliz aufstellen. Am 27. April wurde er zum Kantonsoberst ernannt, am 7. Mai vereidigt.24 Die Miliztruppen waren allerdings schlecht organisiert und mangelhaft ausgerüstet.25 Als «Cantonsobrist» rechnete er noch mit seinem Bruder und Schwager Johann Theodor ab,26 bevor er 1814 wieder in ausländische Dienste trat. Als Oberstleutnant diente er im neu aufgestellten Regiment Christ und wurde dort 1815/16 als sardischer Oberst verabschiedet.27 Dank brüderlicher Unterstützung erhielt er eine zusätzliche Pension, 1826 den St. Maurice- und Lazarus-Orden und 1827 den St. Ludwig-Orden, die er stolz auf seinen Porträts präsentierte.
Zuhause galt es, die Erbfolgen seiner verstorbenen Brüder zu klären. Nach dem Abschluss verschiedener Teilungsverträge mischte sich dabei auch beleidigend sein Grossvetter Hauptmann Johann von Chischliun ein.28 Ansonsten führte er ein eher «beschauliches Leben». 1824 wurde er als ausserordentlicher Deputierter in den Grossen Rat gewählt; ab 1832 bis 1837 war er als kantonaler Passkommissar angestellt.29 Als Beamter war er für die Ausstellung von Aufenthalts- und Gewerbebewilligungen zuständig.
Anfangs 1827 verfasste er einen Lebenslauf mit allen seinen militärischen Karrierestationen, wobei er genealogische Hinweise mitaufzeichnete.30 Finanziell war er gut situiert, indem er dem Kloster Disentis wie auch Privatpersonen mehrfach Darlehen ausgeben konnte.31 Seine hinterlassenen Schriften offenbaren sowieso ein bemerkenswertes Gespür für eine gute private Buchführung. Ferner soll er Kompositionen zu Liedern und Singspielen seines Bruders Johann Theodor angefertigt haben, ausserdem ein «Violinspieler von nicht geringen Gaben» gewesen sein.32 Die Ehe mit seiner Nichte blieb kinderlos. In seinem Testament vermachte er all seinen Besitz an seinen Neffen, verehrte seinen Patenkindern etwas Bargeld und setzte Almosenspenden auf.33 Im Mai 1837 wurde er auf dem Friedhof St. Johann/S. Gions in Disentis/Mustér beerdigt.
Die beiden Offiziersbrüder von Castelberg setzten wie andere Geschlechter der Cadi (Latour, Caprez) die dynastische Militärdiensttradition fort. Anders als der Familienzweig in Chischliun wagten sie mit dem Solddienst für Sardinien etwas Neues. Jener blieb der französischen Krone treu, was Leutnant Ludwig von Castelberg 1792 mit dem «Heldentod» bei der Verteidigung der Tuilerien in Paris bezahlte.34 Die militärischen Führungsqualitäten kamen dem Aufbau der Bündner Miliz zugute. Das Interesse an politischer Partizipation war – ganz im Gegensatz zu ihren Vorfahren – unausgeprägt.
Dr. phil. Adrian Collenberg (*1966)
Studium in Allgemeiner Geschichte, Rätoromanistik und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Zürich Mitarbeiter der Schweizerischen Rechtsquellenstiftung
Verschiedene Editionen und Publikationen zu Rechts- und Sozialgeschichte in Graubünden
Fussnoten
1 Poeschel 1959, S. 451ff.; Müller 1963, S. 18; vgl. auch HBLS 2, S. 510; HLS 3, S. 229 (mit Portrait); LIR 1, S. 159.
2 Sprecher 1875/1951, S. 244f.; Jecklin 1917, S. 11.
3 FamA A A III c, 2; Poeschel 1959, S. 453. Zudem spricht König ViVorio Amadeo III. von Sardinien Major Johann Anton von Castelberg eine jährliche Rente von 400 Pfund aus der Kommende von San Cristoforo de Veneria e Runcarolo zu (A III c, 3).
4 StAGR AB IV 1/158, S. 19.
5 Poeschel 1959, S. 457.
6 Foerster 2010a, S. 221; Foerster 2010b, S. 64.
7 Poeschel 1959, S. 451.
8«Protochol dilg ludeivel cosselg d’ujarra pro anno 1798–1799, in: AnSR 1 (1886), S. 87–112; Castelberg 1996a, S. 54.
9 FamA A III c, 1; Poeschel 1959, S. 461.
10 Poeschel 1959, S. 461.
11 FamA A III b, 11; Poeschel 1959, S. 462.
12 Vgl. FamA A III a, 7, 10, 12, 16 u. 17 («aviuls»).
13 FamA A III a, 3; Poeschel 1959, S. 487f.
14 Vgl. FamA A III c, 15; Pieth 1941, S. 268; Castelberg 1996b, S. 72.
15FamA A III c, 18; Poeschel 1959, S. 464; Maissen 1985, S. 40.
16 Poeschel 1959, S. 495ff.
17 Poeschel 1959, S. 465ff.; vgl. auch Jecklin 1917, S. 12; HBLS 2, S. 510; LIR 1, S. 159.
18Poeschel 1959, S. 467.
19 FamA A IV e, 2.
20 FamA A IV, 2 und 3; Poeschel 1959, S. 472; Castelberg 1996b, S. 73.
21 FamA A IV d, 10–26.
22 Fam A IV e, 49 und 50.
23 Pfister 1923, S. 104 und 1924, S. 60; Pensionierungsedikt vom 14.11.1808, in: FamA A IV e, 52.
24 FamA A IV d, 28 und 30; StAGR CB II 937, S. 314f. und 482f.
25 Pieth 1934, S. 99 und Porträt S. 110; Jenny 1972, S. 23ff.
26 FamA A II a, 54 (rätoromanisch) sowie 57.
27FamAm A IV e, 2a und 2b; Poeschel 1959, S. 489.
28FamA IV a, 28, 30, 31 und 33; 1851 wird das Fideikommiss Chischliun amtlich aufgehoben. Vgl. Poeschel 1959, S. 382 und 494.
29 Poeschel 1959, S. 489; FamA A IV c, 1–18.
30 FamA A IV b, 26 mit beiliegender Transkription.
31 Vgl. FamA A IV a, 42–42 und 47–50.
32 Poeschel 1959, S. 490.
33 FamA A IV a, 85 mit beiliegender Kopie.
34 Castelberg 1935, S. 69.