Burganlage Surcasti

Die Burg Surcasti ist die Stammburg der Herren von Übercastel beim gleichnamigen Dorf in der heutigen Gemeinde Val Lumnezia. Von hier aus verzweigen sich die Linien der Übercastel, aus denen später die Familien Castelberg und Löwenstein hervorgehen. Die Herren von Übercastel gelten als Gründer der hochmittelalterlichen Burganlage. Ursprungsort der Familie wird das Dorf Surcasti gewesen sein, nach welchem sich die Familie benannt und zu diesem Zweck ihren Namen eingedeutscht hat. Das verdeutsche Übercastel ist mit dem rätoromanischen Surcasti («oberhalb der Burg») identisch.1 Möglicherweise war die Familie lange vor dem Bau ihrer Burg im Hochmittelalter bereits im Dorf ansässig, hatte eine prominente Position in der Gemeinschaft inne und stieg zu führender Stellung in der Region auf. Wie sie zu dieser privilegierten Lage gekommen ist, bleibt allerdings unklar.2 Mit dem Bau ihrer Burg im 12. Jh. übertrugen sie den Familiennamen auf die Burgstelle, die sie mutmasslich im Bereich einer älteren Befestigungsanlage errichteten.3 Darauf weist die Ortsbezeichnung Surcasti hin. Surcasti dürfte zunächst die oberhalb der älteren Befestigung entstandene Ortschaft bezeichnet haben, bevor dann mit den Herren von Übercastel der Name auf die Burg überging.4

Die Burgstelle bildete Sitz ihrer Grundherrschaft, zu welcher vermutlich eine Eigenkirche, ein Vorgängerbau der heutigen Kirche Sogn Luregn, gehörte. Gleichzeitig waren die dem "rittermässig lebenden" Stand zugehörigen Herren und ihre Familienmitglieder Ministerialen, d.h. Dienstleute des Churer Bischofs. Die Burg dürfte die Familie aber als Eigengut und nicht als bischöfliches Lehen besessen haben.5 Die Lage ihrer Burg war strategisch ideal gewählt, um die im Mittelalter viel begangene Route über den Valserberg nach Hinterrhein zu kontrollieren.6 Urkundliche Erwähnungen der Herren von Übercastel sind erst ab Mitte des 13. Jhs. mit Ulrich von Übercastel nachgewiesen, der bei einer Güterteilung als Zeuge auftritt.7 Die Burg selbst ist urkundlich nicht belegt.8 In der zweiten Hälfte des 13. Jh. besitzt die Familie nebst ihrer Stammburg Surcasti noch weitere Burgsitze.9

Spätestens mit Hartwig IV. bzw. V., gestorben zwischen 1470–1480, wird die niederadelige Familie in Surcasti ausgestorben und ihre Burg aufgelassen sein.10

Abbildung 1 (oben)

Burgstelle – älteste Nachweise

Die Burgstelle mit der hochmittelalterlichen Burganlage liegt nordöstlich und etwas unterhalb des Dorfes Surcasti auf einem imposanten Geländesporn, über dem Zusammenfluss von Glenner/Glogn und Valser Rhein. Die ältesten Nutzungsspuren kamen 1963 bei Ausgrabungen im westlichen Hügelbereich zum Vorschein. Durch Keramik- und Metallfunde ist die Besiedlung in der Bronze-, der Eisen-, der römischen Kaiserzeit, der spätrömischen Epoche und im Mittelalter belegt.11 Im selben Bereich des Geländesporns wurden 1945 Trockenmauern aus der jüngeren Eisenzeit dokumentiert, die zum Teil von den mittelalterlichen Burgmauern überlagert sind. Die Mauern aus der Eisenzeit wurden von den Archäologen und -innen als eine erste Befestigungsmauer des Plateaus interpretiert.12 Erwin Poeschel geht davon aus, dass diese bis ins Frühmittelalter weiter benutzt wurde. Die postulierte Kontinuität wertet er als Indiz dafür, dass vor der hochmittelalterlichen Burganlage bereits eine frühmittelalterliche Fluchtburg, ein sog. Kirchenkastell auf dem Geländesporn bestand.13 Heute wird diese These in Frage gestellt. Zwar konnte die Besiedlung des Platzes von der Bronzezeit bis zu den Römern nachgewiesen werden. Spuren einer mittelalterlichen Wehranlage vor 1200 wurden bis heute jedoch keine gefunden. Ebenso ist eine frühmittelalterliche Gründung der Kirche bislang nicht nachgewiesen. Poeschel sieht eine solche aber durch ihr Patrozinium, sie ist dem Erzmärtyrer Sogn Luregn geweiht, als möglich an.14

Abbildung 2 (oben)

Hochmittelalterliche Burganlage

Das auf drei Seiten steil abfallende Gelände gewährte der Burganlage natürlichen Schutz, bergseits ist sie mit einem künstlich angelegten Halsgraben gesichert. Markantestes Bauwerk auf dem Plateau ist nebst der Kirche Sogn Luregn der Bergfried, der unbewohnte Turm als bedeutendster Überrest der mittelalterlichen Burganlage. Zu Beginn des 16. Jhs. wurde er zum Glockenturm der nebenstehenden Kirche Sogn Luregn umfunktioniert.15 Der Turm ist knapp 15 m hoch (ohne heutiges Krüppelwalmdach), sein quadratischer Grundriss misst 8,95 x 8,55 m, die Mauerstärke liegt bei 2,20 m.16 Sein sorgfältig gearbeitetes Mauerwerk besteht aus regelmässigen, quaderartig zugerichteten Bruchsteinen. Die Ecksteine sowie einzelne Steine in der Mauerflucht weisen Bossen mit präzisem Randschlag auf. Die Grösse der Steine nimmt nach oben hin ab, allein der unterste Mauerbereich besteht aus massiven Steinblöcken..17 Reste des einstigen Pietra-rasa Verputzes mit Fugenstrich sind an allen Fassaden erhalten. Anhand der originalen Balkenauflager sind im Innern vier Geschosse nachweisbar. Ursprünglich war der Turm nur über den rundbogigen Hocheingang in der NW-Wand des dritten Geschosses zugänglich. Auf derselben Höhe vorhandene Balkenauflager in der NW- und der NE-Fassade weisen auf eine ehemalige hölzerne Laube hin. An der dem Innern der Burganlage zugewandten Seite dürfte wohl auch eine hölzerne Treppe auf die Laube und damit zum Hocheingang geführt haben.18 Der ebenerdige Zugang in der NE-Wand wurde erst später – wohl beim Umbau zum Glockenturm – eingebrochen.19 Belichtet und belüftet war das Turminnere über drei Schmalscharten, mit rundbogigem Abschluss und abgetreppter Bank, die für einen besseren Lichteinfall nach Innen trichterförmig erweitert sind.20 Das Krüppelwalmdach stammt aus dem 18. Jh., wodurch die ursprüngliche Gestaltung des oberen Turmabschlusses ist unklar. Poeschel geht von einem Zinnenkranz mit einem darüber ruhenden Zeltdach aus. Da im Turm keinerlei Nachweise von Bewohnbarkeit auszumachen sind und aufgrund von Balkenabdrücken, käme auch ein hölzerner Obergaden mit Wohnräumen in Betracht.21 Mithilfe der Dendrochronologie (jahrgenaue Datierung von Hölzern) konnten für Stammreste der ehemaligen Holzlaube das Fälljahr 1170 n. Chr. bestimmt werden.22 Im Einklang mit dieser Altersbestimmung steht auch die bautypologische Datierung des Turmes.

Abbildung 3 (oben)

Zu den übrigen Gebäuden der mittelalterlichen Anlage liegen nur fragmentarische Hinweise vor, so dass sich keine eindeutige Vorstellung der hochmittelalterlichen Burganlage gewinnen lässt. An der Westseite war die Burganlage gemäss den Ausgrabungen von 1945 und 1963 ausser mit dem erwähnten Halsgraben auch mit einer Mauer auf dem davor liegenden Hügel gesichert, die zum Bering der hochmittelalterlichen Burganlage gehört haben dürfte.23 Sichere Nachweise einer Umfassungsmauer fehlen jedoch. 24 Der Zugang ins Burgareal erfolgte vermutlich über eine über den Halsgraben gestellte Holzbrücke. Nach der Aufgabe der Anlage wurde der Halsgraben mit Mauerversturz und Erdmaterial nach und nach verfüllt.25 Die heutige Friedhofsmauer sowie das Tor, welches an die Ostecke des Turms anschliesst, stammen aus nachmittelalterlicher Zeit.26 Ganz an der Spitze des Geländesporns sind die Mauern eines grossen, rechteckigen und quer unterteilten Gebäudes nachgewiesen.27 Funktion und Alter sind unbekannt, möglicherweise handelt es sich um einen Wohntrakt oder ein Wirtschaftsgebäude.28

Die neben dem Bergfried stehende Kirche Sogn Luregn stand einst frei und ist erst seit 1984 durch einen Vorbau mit dem Turm verbunden.29 Die Kirche wird erstmals im Indulgenzbrief (Ablassbrief) für St. Vincentius in Vella-Pleif aus dem Jahre 1345 bezeugt.30 Allerdings lässt eine im Beinhaus von Surcasti aufgefundene Holzstatuette einer sitzenden Madonna mit Kind, auf einen romanischen Vorgängerbau schliessen. Die heute im Disentiser Klostermuseum aufbewahrte Figur datiert in die 2. Hälfte des 12. Jh. datiert und dürfte zur alten Kirchenausstattung von Sogn Luregn gehört haben.31 Die Figur trägt die Namen des Stifterehepaars Conrad und Hiciga. Gerade den Namen Conrad trugen viele Angehörigen der Familie Castelberg, vereinzelt ist er auch bereits bei den Herren von Übercastel nachgewiesen.32 Das Recht auf eigenem Grund und Boden eine Kirche zu erstellen, gilt als Hinweis auf eigenständige Grundherrschaft. Zu dieser gehörte auch der Besitz von Eigenleuten und wohl auch das Recht, ein älteres Befestigungswerk zu einer Burg auszubauen.33 Am 10. November 1515 wurde ein bischöflicher Kollektenbrief für einen Neubau der Kirche erlassen, welcher fünf Jahre geweiht werden konnte.34 Dabei wurde der Bergfried der Ende des 15. Jh. aufgelassenen Burg zum Glockenturm umfunktioniert.35 Das heutige Erscheinungsbild der Kirche entspricht im Wesentlichen diesem spätgotischen Neubau. Einzig die Barockisierung des Schiffes (Kappellenanbauten, Decke) erfolgte später.36

Abbildungen 4–7 (unten)

M.A. Yolanda Sereina Alther (*1982)
Studium der Mittelalter-, Prähistorischen und Klassischen Archäologie an der Universität Zürich.
Arbeitet als Bauforscherin beim Archäologischen Dienst Graubünden.

Fussnoten

1 Boxler 1991, S. 68; Poeschel 1959, S. 25.
2 Poeschel 1959, S. 25..
3 Poeschel 1929, S. 36; Poeschel 1959, S. 15..
4 Boxler 1991, S. 70. Poeschel 1959, S. 12f..
5 Poeschel 1959, S. 22–25..
6 Poeschel 1929, S. 36; Clavadetscher 1994, 300f..
7 BUB II (neu), Nr. 956: 1253 Ulrich von Übercastel..
8 Clavadetscher/Meyer 1984, S. 99..
9 Poeschel 1959, S. 20..
10 Poeschel 1959, S. 51–53..
11 Zürcher 1982, S. 43..
12 Burkart 1947, S. 101..
13 Poeschel 1959, S. 14–15..
14 Poeschel 1959, S. 15, vgl. auch Dessl OCist 2002, 169–180..
15 ADG: Fundstelle 3697, S. 1–2..
16 Reicke 1995, 118; ADG: Fundstelle 18976, S. 1..
17 Reicke 1995, 118; Poeschel 1929, S. 134..
18 Poeschel 1929, S. 247..
19 Clavadetscher/Meyer 1984, S. 98..
20 Poeschel 1929, S. 137 und 247..
21 Reicke 1995, S. 118. ADG: Fundstelle 18976, S. 1.; Poeschel, 1929, S. 125 und 247..
22 Sormaz 2011, S. 1–7..
23 ADG: Fundstelle 18976, S. 1.
24 Clavadetscher/Meyer 1984, S. 98..
25 ADG: Fundstelle 18985, S. 1. .
26 ADG: Fundstelle 18976, S. 1..
27 KDGR IV, S. 209..
28 ADG: Fundstelle 18976, S. 1..
29 ADG: Fundstelle 3697, S. 1..
30 BUB V, Nr. 2793; SSRQ GR B III/1, Nr. 161..
31 KDGR, S. 208; Poeschel 1929, S. 247..
32 Poeschel 1959, S. 49..
33 Poeschel 1959, S. 25..
34 GA Surcasti Urk. Nr. 14 und Nr. 15; KDGR IV, S. 204..
35 Clavadetscher/Meyer, S. 98..
36 KDGR IV, S. 204.

Bibliographie (pdf)

Abb. 1: Übersichtsaufnahme der Burganlage Surcasti und Kirche Sogn Luregn (Vordergrund) und dem Dorf Surcasti (Hintergrund). (Y. Alther)
Abb. 2: Burghügel Surcasti. Anlässlich von Strassenarbeiten wurde 1963, ohne vorherige Meldung an die zuständigen Behörden, ein Teil des Burghügels mit dem Bagger abgetragen. Das Rätische Museum dokumentierte in der Folge die bis zu 5 m hohe und 40 m lange Erdwand. Es konnten sechs Siedlungshorizonte dokumentiert werden. Nach Norden (ADG).
Abb. 3: Burganlage Surcasti, mit dem hochmittelalterlichen Turm (links) und der spätgotischen Kirche Sogn. Luregn (rechts). Nach Westen (Y. Alther).
Abb. 4: Burganlage Surcasti, Grundriss. (Meyer/Clavadetscher 1983, S. 98)
Abb. 5: Burganlage Surcasti, Detail, rundbogiger Hocheingang, NW-Wand, 3. Geschoss, dieser war über eine auf Kragbalken gestützte Aussenlaube erreichbar (Y. Alther).
Abb. 6: Hochmittelalterliche Funde aus Metall, die 1963 bei Ausgrabungen zum Vorschein gekommen sind. Unter anderem Nägel, Henkelfragment und Beschläge (ADG).
Abb. 7: Klostermuseum Disentis, Holzstatuette Madonna mit Kind, bemalt, Höhe 55 cm.  Datierung: 2. Hälfte 12. Jh. (Y. Alther).

Hier finden sie Material zum Stifter, Guido von Castelberg.

Biografie Guido von Castelberg
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